Der Kneipenpastor
Aus der Lokalredaktion Rhein-Lahn-Zeitung Bad Ems

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Rhein-Lahn-Zeitung
Der Kneipenpastor“: Nastätter Wirt veröffentlicht Buch über seinen Weg zu Gott

2013 war er noch Strafgefangener in der Justizvollzugsanstalt Diez. Und nur zwei Jahre später hielt er bei Pfarrer Körver, seinem Mentor, seine erste Predigt in der evangelischen Pfarrkirche Nastätten. Titus Schlagowsky, Schreiner mit Meisterbrief, Ex-Häftling, Kneipenwirt und angehender Seelsorger, stellt mit Hauke Burgarth seinen ungewöhnlichen Lebensweg in einem Buch nebst Hörbuch vor.

Anlässlich einer Samstagandacht in der „Schönen Aussicht“ stellt Titus Schlagowsky sein neues Buch „Der Kneipenpastor“ nebst Hörbuch vor.

Von Winfried Ott 25. August 2021, 9:52 Uhr 

Foto: Winfried Ott

Der Kneipenpastor“ heißt das 250 Textseiten und einen 16-seitigen farbigen Bildteil umfassende Buch aus dem SCM-Verlag, das am 1. September gebunden in den Buchhandel kommt. In einem Prolog schildert der Verfasser einen Samstagabend in der „Schönen Aussicht“: lebhaftes Stimmengewirr, eine Skatrunde, ein paar Gäste beim Feierabendbierchen am Stammtisch.

Kneipenwirt Titus unterhält sich mit Stammgast Holger und will kurz in den Keller, um die Predigt vorzubereiten für den Gottesdienst am folgenden Tag in der Stiftung Scheuern. Holger überredet ihn, vor allen in der Kneipe zu sprechen. Zwar ist kein Kirchgänger unter ihnen, doch alle hören andächtig zu. So wurde dieser Abend zum Auftakt für viele weitere. Und veranlasste Schlagowsky zum Untertitel seines Buches: „Wie Gott mein Versagen gebrauchte, um Herzen zu verändern“.

Titus Schlagowsky wurde im Mai 1969 im sächsischen Crimmitschau geboren und wuchs mit zwei Geschwistern mitten in der DDR auf. Sein Vater, ein preußisch-korrekter Pastorensohn, hatte Maschinenbau studiert, arbeitete aber in einer freien Tankstelle. Die Mutter war Schneiderin und „für den Glauben zuständig“. Sie verbot dem Jungen, zu den Jungpionieren zu gehen, was ihn nicht vor einigen gefährlichen Streichen bewahrte. Gern nahm er an der „Christenlehre“ teil. Nach Umzug und Schulwechsel begann eine lange Leidenszeit durch mobbende Mitschüler. Und als er sich schließlich gewaltsam zur Wehr setzte, wurde er „richtig herzlos“.

Im Buch geschildert werden eine Schreinerlehre mit Problemen, erste Autounfälle, ein Rauswurf aus der Arbeitsstelle beim Vater und – auf eine zwerchfellerschütternde Art und Weise – ein Abenteuerurlaub bis ans Schwarze Meer. Auch das Ende der DDR und erste Erlebnisse als Ossi im Westen sind Thema. In Weyer finden Titus und seine Freundin eine Wohnung und Arbeit; im Nastätter Krankenhaus wird ihnen ein Sohn geboren. Doch die Freundin kehrt mit dem Kind in den Osten zurück.

Titus überredet seine Eltern zum Umzug in seine Nähe, arbeitet als Zimmermann und beginnt einen Meisterkurs, wechselt zu einem großen Möbelhaus in Frankfurt und erwirbt ein Firmengelände mit großer Halle und Feldscheune in Nochern. 1994 eröffnet er dort eine Schreinerei, heiratet und bekommt ein Kind. Zwar besteht er seine Schreinermeisterprüfung theoretisch wie praktisch mit „sehr gut“, doch zuvor hatte es mehrere Strafen wegen der noch fehlenden Meisterprüfung gegeben.

Sein anschließendes Gebaren nennt Schlagowsky selbst „eine ordentliche Portion Größenwahn“: 1998/99 fährt er laut seinen Ausführungen einen schweren Mercedes, hat ein Boot und ein Riesenhaus. In St. Goarshausen kauft er ein großes einstiges Café und steckt viel Geld in die Sanierung. Die Firma wächst unnatürlich schnell, übernimmt immer mehr riskante Großaufträge, die Außenstände wachsen, es kommt zu Engpässen. Seine Frau habe nach dem zweiten Kind ein Messie-Syndrom entwickelt. Er geht fremd, es folgt die Scheidung. Mit einer neuen Freundin gibt es bald neue Probleme, eine Abtreibung belastet sein Gewissen.

Bei einem Urlaub mit den Kindern, so heißt es weiter, entdeckt Titus sein Herz für Island. Er will seine Firma aufgeben und stellt einen Insolvenzantrag mit falschen Angaben. Während er alles für ein Auswandern nach Island vorbereitet, zieht er Bilanz: 700.000 Mark Schulden, fast zweieinhalb Millionen Außenstände. Einer der Schuldner sei ein Konditor aus Nastätten gewesen, der auch sein Mieter gewesen sei und zahlreiche Filialen betrieben habe. Er habe auf großem Fuße gelebt, sei spielsüchtig und ständig blank gewesen, während seine Frau das Geschäft und die Familie mit Kindern zu erhalten versucht habe.

Schließlich sei der Mann verschwunden, die Schulden in Millionenhöhe seien geblieben. Seine Familie sei zu Titus nach Nochern gezogen. Um das Café in Nastätten zu erhalten, wird eine GmbH gegründet, heißt es im Buch, und die Backstube nach Nochern verlegt. Die Konditorin wird geschieden und heiratet Schlagowsky. Dessen intensive Bemühungen um den Erhalt der alteingesessenen Bäckerei sind ausführlich im Buch beschrieben. Doch dann folgen kummervolle Erfahrungen mit der Steuerfahndung: Pfändungen und schließlich die Verhaftung im März 2012.

Vorenthalten von Arbeitnehmer- und Arbeitgeberbeiträgen“, lautete die Anklage. Titus hatte zwar alle Arbeitnehmer angemeldet, jedoch wohl des Öfteren deren Überstunden aus der eigenen Tasche bezahlt, also „schwarz“. Nach drei Verhandlungstagen vor dem Landgericht das Urteil: drei Jahre und drei Monate Haft. Dass der Untersuchungshäftling in zwei Monaten 27 Kilo abgenommen hat, spricht wohl für seine damalige Verfassung.

Von der Karthause wird der Häftling in die JVA Limburg verlegt. Er schildert seine vielfältigen Erlebnisse dort, einen Beinahe-Selbstmord, enge Kontakte zu den Gefängnisgeistlichen, den überraschend schnellen Wechsel ins Freigängerhaus und die ungewöhnlich frühe Entlassung nach Verbüßen der halben Strafzeit.

Der Schreinermeister verkleidete das gesamte Café mit edlen Hölzern, widmete sich selbst aber der benachbarten Kneipe. In seiner Freizeit absolvierte er eine zweijährige Prädikantenausbildung des Dekanats, vier von zwölf Teilnehmern bestanden die Prüfung. Seine erste Predigt hielt er in Nastättens evangelischer Kirche; der Prüfungsgottesdienst fand im Juli 2016 in Lahnstein statt. Seitdem hielt Schlagowsky viele hundert Predigten, oft in der Stiftung Scheuern. Er nahm am Kirchentag in Dortmund teil, absolvierte einen zweijährigen Seelsorgekurs der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau und startete schließlich eine Ausbildung zum Gemeindediakon, die sich durch die Corona-Beschränkungen in die Länge zieht.